In diesem lebendigen Schriftraum „Persian DanceScripts“ heute Abend, in dem der Syrisch-türkische Tänzer Ziya Azazi seine Choreographie „Dervish in Progess“ zeigt, tastet sie nach den Lücken der Architektur der Moderne. Nach den offen gelassenen Flächen einer fast hermetisch anmutenden Exklusivität moderner Raumgestalt. In einer grandiosen Geste digitaler kalligraphischer Energie gießt sie ihre ganz persönliche Handschrift auf den Boden dieses Atriums aus, – so groß wie hier hat sie ihre Schrifträume noch nie gestaltet – sodass man meinen könnte, das ganze Bauwerk gerate damit in eine bewegte Schwingung. Der Boden scheint einer fremdartig anmutenden Himmelskarte gleich, die der zylindrischen Glaskuppel dieses Gebäudes mühelos Paroli bietet. Ihr elegantes, formvollendetes Farsi, welches sich jeder Lesbarkeit verweigert, also nichts schreibt, nichts sagt, auf nichts verweist, ganz sinnfrei ist und sich ganz ins Bildhafte aufhebt, scheint die gesamte Struktur dieses Hauses in eine Art Schwebezustand zu heben. Die Verhandlung zwischen Eigenem und Fremden, zwischen Moderne und Tradition, Europa und Islam, Schriftkultur und Bildkultur mit all ihren schon fest geglaubten Koordinaten, wird in dieser Arbeit neu eröffnet. Ein Widerstand gegen das Gesetz der Fremdheit. Das fremde Farsi schmiegt sich in seiner runden Zartheit unweigerlich dem eigenen Körper an, und lässt dann wieder los, eine runde und zarte Bewegung, aus der die Sehnsucht nach Heimat und Kindheit spricht:
„… die Schriftzeichen meiner Muttersprache, mit Liebe aneinandergereiht (…), sie definieren einen Zwischen-Raum: Sie verwandeln sich in Ornamente, die die Erinnerung an die Bedeutungen der Worte nicht mehr als nur durchschimmern lassen.“ (Wegziehen. 2001)
Um die Bedeutung der Worte, um die so viel gestritten wird, geht es ihr nicht. Sondern um ihre Form, ihre sinnliche Gestalt, die Körperlandschaft ihrer Linien, Spuren eines unsichtbaren Tanzes – der nachher noch stattfindet. Als hätte sich hier eine Schrift offenbart, die sich jeder fundamentalistischen Lektüre gegenüber verweigert, weil sie sich wie eine sinnliche Landschaft zeigt, eine Schrift, die, wie der Tanz, die Freiräume ihrer eigenen Bewegung sucht.
Die persische Schönschrift, so sagt die Künstlerin, strebt den Leerräumen als Feldern der Freiheit zu und webt diese in die Schrift hinein. (Hubert Salden. Zur Arbeit von Parastou Forouhar. Aus dem Katalog Berlin Biennale 2) Es gibt eine klassische jüdische und islamische Theologie, die genau dieses gestalthafte Verständnis von Schrift zum Ausgangspunkt einer ästhetischen Theorie des Heiligen erklärt. Zu selten wird die jüdische und islamische Tradition in den Zusammenhang der europäischen Kunst der Moderne gestellt.
Eine Schrift, die in bildhafter Spur die Linien der eigenen Bewegung zeichnet, kann kalligraphische und tänzerische Qualitäten haben. In der Sufi Theologie schon des 10. Jahrhunderts sind diese beiden Bewegungsformen inhärent miteinander verbunden. Der Sufi Tanz präsentiert eine Signatur der Körperschrift, die vor allem die Spur einer Abwesenheit verzeichnet – die drehenden Derwische verbinden in ihrem Tanz Himmel und Erde und vergegenwärtigen dabei die prekäre Flüchtigkeit eine göttlichen Signatur der Welt, die nicht mehr lesbar und nicht mehr zu haben ist.”