“Solange noch Kriege im Namen der Religion geführt werden, dürfen Künstler dazu nicht schweigen.” Şükran Moral
The Red Gaze präsentiert Gemälde, Zeichnungen, Gedichte, Skulpturen, Film- und Audiokunst zum Thema des Zeugen, insbesondere zum Thema des Künstlers als Zeugen in Zeiten von Krieg und Gewalt.
Zwei Arbeiten der Klassischen Moderne, ein Selbstbildnis des Komponisten Arnold Schönberg (1944) und ein Gedicht von Pablo Picasso (1935), treffen auf eine beschädigte barocke Christusfigur aus dem 17. Jahrhundert, sowie zeitgenössische Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus Damaskus, Diyarbakır, Istanbul, Lahore, Wien und Berlin.
Schönbergs Selbstportrait von 1944 spiegelt die Schrecken unserer Zeit. Pablo Picassos selten vorgetragenes Gedicht „Die Ratten, sie mögen schmausen, wo sie wollen“, das Paul Celan in seinem charakteristischen Duktus ins Deutsche übersetzt, stehen als Wand-Poesie neben sieben IKONEN des türkisch-armenischen Künstlers Sarkis. Zwei neue Arbeiten aus Rebecca Raues Serie zum New Yorker Metropolitan Museum, drei politische Skulpturen von Memed Erdener a.k.a. Extramücadele, sowie ein Video des türkischen Künstlers Erkan Özgen über einen taubstummen dreizehnjährigen Mimen aus einem Flüchtlingslager in Diyarbakır thematisieren das Thema der Gewalt und ihrer Zeugen.
“Ich bin nur ein kleiner Teil der Proteste. Ich bin nur ein Künstler. Ich bin niemand. Aber meine Ideen sind frei. Mein Herz ist frei. Mein Geist ist frei”. Dies sind die Worte des türkischen Performance-Künstlers, Erdem Gündüz, der auch als duran adam, als „stehender Mann“ von Gezi bekannt wurde. Seine stille Protestaktion auf dem Taksim-Platz während der Gezi-Proteste 2013 fand tausende Nachahmer und wurde so zum Auslöser einer kollektiven Performance des Widerstands.
In The Red Gaze wird die Pose des Künstlers als „stehender Zeuge“ mit Ahmet Elhans Serie Composed assoziiert, in der der Künstler eigene Aktfotografien mit Stichen osmanischer Interieurs aus dem 18. Jahrhundert unterlegt. Auch die flämische barocke Skulptur vom Typus des Cristo vivo kommt neben die Worte des protestierenden Künstlers von Gezi zu stehen: „Ich bin nur ein Künstler“. Arme und Füße der Christusfigur sind unter unbekannten Umständen abgebrochen, was zu einer Betonung seines Aufrecht-Stehens führt, einer Figur Alberto Giacomettis nahe. Die Darstellung evoziert ein Martyrium der Zeugenschaft, weg vom Religiösen. Die Künstler aus The Red Gaze werden zu Zeugen unserer Zeit.