Alexander Polzin
PAUL CELAN Sculpture for Paris
Paris, 2016
Paris, 2016
Freitag, 3. Juni 2016 FAZ
Feuilleton
Da hält ein Gespann für dein Herz
von MARLEEN STOESSEL
Nach siebzehn Jahren hat der Bildhauer Alexander Polzin jetzt seinen Traum wahr gemacht: In einem kleinen Park in Paris steht seit dieser Woche sein Denkmal für den Dichter Paul Celan.
PARIS, 2. Juni. Der Ort im alten Pariser Marais-Viertel liegt beruhigend geschützt. In unmittelbarer Nähe des Centre Pompidou betritt man von einer Sackgasse aus den nach Anne Frank benannten kleinen Park an der rückwärtigen Seite des jüdischen Museums. Unter einem Kastanienbaum, dem Spross des Originals aus Amsterdam, erinnert eine Tafel an das junge Mädchen, das 1945 ermordet wurde. Bevor der Park in eine Rosenrotunde übergeht und dahinter in einen Spielplatz mündet, ist seit dieser Woche in einem kleinen schattigen, von Bäumen umstandenen Areal eine Doppelplastik zum Andenken an Paul Celan, den großen Dichter aus der Bukowina, aufgestellt. Sein Pariser Exil begriff er als „Opferstatt deiner Hände“, seiner eigenen schreibenden nämlich, wie es in Celans Gedicht „Auf Reisen“ einmal heißt. Und fast möchte man, im Anblick dieses Orts, fortfahren mit den Zeilen der zweiten Strophe: „Da ist ein Gehöft, da hält ein Gespann für dein Herz“ – als ließe sich, was hier zur Metapher wurde, noch einmal in etwas Wirkliches, in diesen friedlichen Ort zurückübersetzen.
Der Bildhauer, Maler und Bühnenbildner Alexander Polzin hat diese Bronzeplastik geschaffen. Sie besteht aus zwei Figuren, die eine männlich, die andere weiblich. Celans Werk ist von tiefem Pathos durchdrungen, sein Dichten hat, im Gegensatz zu Adornos Verdikt, das Leiden, die Schoa, der die Eltern des Schriftstellers zum Opfer fielen, als Bedingung seiner Möglichkeit. Und diese Dichtung entstand in Frankreich, in Paris, wo sich der knapp Fünfzigjährige 1970 vom Pont Mirabeau in die Seine stürzte. Dass sich seine reale und metaphysische Fremdheit in einer hermetischen Sprache niederschlagen musste und sich deren Intensität oft ins Unerträgliche steigert, bleibt die Herausforderung für Hermeneuten, Interpreten und den Verstehen suchenden Leser bis heute.
Trotz aller Hermetik bleibt aber immer die Spannung zur Realität und zur eigenen Biographie gegenwärtig, von der Erfahrung der Schoa über die Celan in die Psychiatrie treibende „Goll-Affäre“ bis zu den aufeinanderfolgenden, teilweise parallel verlaufenden Liebesversuchen. Die entsprechenden Briefwechsel – mit Ingeborg Bachmann, mit seiner Ehefrau, der Graphikerin Gisèle Celan-Lestrange, mit der jungen linksengagierten und israelkritischen Gisela Dischner und mit der in Israel spät wieder aufgefundenen Kindheitsfreundin Ilana Shmueli – sind berührende Zeugnisse für das jüdisch-deutsche Spannungsverhältnis, in dem diese Liebesbeziehungen angesiedelt sind.
Dieses dialogische Element, die Ausrichtung von Celans Gedichten auf ein Du, das freilich nicht nur das Liebes-Du meint, hat Alexander Polzin zum Gestaltungsprinzip seiner Skulptur gemacht. Auch er tat das nicht ohne Pathos. So ist die männliche Gestalt in einer selbst akrobatisch kaum mehr möglichen Haltung gegeben, wie nach hinten gefällt, im Würgegriff seiner selbst, während die weibliche Figur hoch aufgerichtet steht, gefesselt an einen Pfahl, in dem die Füße noch zu wurzeln scheinen – das Gesicht nur noch an dem zum Schrei geformten Mund erkennbar, den Blick weit über den sich selbst Würgenden hinweg gerichtet. Es ist das expressive bildhauerische Pathos von Ernst Barlach, das hier fraglos mitgewirkt hat.
Siebzehn Jahre lang hat Polzin, der als Steinmetz begann und mittlerweile höchst beeindruckende Bildhauerwerke geschaffen hat (unter anderen die Plastik von Giordano Bruno am Potsdamer Platz in Berlin oder, im Dialog und buchstäblicher Resonanz mit dem Komponisten György Kurtág, die Figurengruppe „Requiem“), sein Pariser Projekt gegen politische Widerstände und finanzielle Hürden verfolgt. Einige seiner Unterstützer wie Gérard Mortier, Yehuda Elkana oder Günter Grass sind mittlerweile tot. In dem auf einer Bronzetafel beigefügten Gedicht ist es die dritte und letzte Strophe, die den Bezug auf Paris thematisiert, wenn es heißt: „Ich grüßte die Trikolore / mit einem russischen Wort – / Verloren war unverloren, / das Herz ein befestigter Ort.“ Erst im letzten Herbst fand sich dank des Einsatzes von Bezirk und Stadt dieser geschützte, die vielen Bezüge bis in die Gedichte hinein verbindende kleine Park als Standort.
Die Technik, die der Bildhauer Polzin anwendet, reflektiert den Kern seiner persönlichen Erinnerungsarbeit, also auch seine Arbeit mit der Zeit. Holz wird in Bronze gegossen, wodurch die Plastiken ihren skulpturalen Charakter bewahren: die organische Zeichnung des Holzes, dessen Falten, Risse und Schründe, deren „Momentaufnahme“ der metallene Guss konserviert. Lediglich die Farbe der Bronze lässt sich noch durch entsprechende mineralische Salze und Zusätze steuern, im Falle der Celan-Plastiken spielt sie ins Rostig-Rötliche. Der langjährigen Zusammenarbeit von Polzin mit seinem Bronzegießer Marc Krepp sind nicht unerhebliche Teile der Finanzierung des Projektes zu verdanken. Weitere Zuwendungen erhielt das Celan-Denkmal vom Auswärtigen Amt, der Berliner Galerie Kornfeld, die den Künstler vertritt, sowie einigen privaten Sponsoren. Ein noch offener Betrag der Gesamtkosten von etwa120 000 Euro soll durch den Verkauf von Reduktionen der Skulptur hereingeholt werden.
Die lange Entstehungszeit spiegelt sich nicht zuletzt auch im Werk selbst, in der nicht unerheblichen Veränderung der weiblichen Figur. Anders als im ursprünglichen Entwurf ist sie jetzt bedeckt von ihrem über den Leib fallenden Haar, das jedoch gefalteten, am Flug gehinderten Flügeln gleicht. Aus seitlicher Perspektive gewahrt man den Bauch einer Schwangeren, etwas Blattgold an den Innenseiten scheint einen buchstäblichen Hoffnungsschimmer ins Dunkel der im stummen Schrei erstarrten Gestalt zu bringen. In zwei sehr unterschiedlichen empathischen Beiträgen haben sich der Literaturwissenschaftler und Celan-Spezialist Christoph König und der polnisch-französische Kunsthistoriker Krzysztov Pomian nach der Enthüllung der Plastik dem Verständnis der Skulptur genähert.
Dass sie offen bleibt für vielfache Assoziationen und Möglichkeiten des Verstehens, dass sie zum Dialog anregt mit ihrer Widmungsgestalt wie auch mit ihrem Betrachter, zeichnet sie aus. Auch wenn, wie der anwesende Sohn Eric Celan in seiner kurzen Rede, die Ansprachen des Bezirksbürgermeisters Pierre Aidenbaum sowie der deutschen und rumänischen Botschafter folgte, nicht ohne kritischen Unterton anmerkte, Celans Werk sich als „nomadisches und rebellisches“ jeder Vereinnahmung entziehe. Seine eigene Aktualität aber, die auch das Engagement, die Hartnäckigkeit und Geduld des Künstlers provozierte, hat der scheinbar unpolitische Dichter Paul Celan 1949 in einem bitter-scharfen Aphorismus aus der kleinen Sammlung „Gegenlicht“ mitgeteilt: „Man redet umsonst von Gerechtigkeit, solange das größte der Schlachtschiffe nicht an der Stirn eines Ertrunkenen zerschellt ist.“ Nüchterner vermag Pathos, das wahre, sich nicht auszudrücken. MARLEEN STOESSEL